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Interview mit CHRISTOS TSIOLKAS, Schriftsteller

  677 Wörter 2 Minuten 960 × gelesen
2017-05-01 2017-08-26 01.05.2017

D. Pergialis: Der Titel Ihres Buches „Nur eine Ohrfeige“ weckt die Erwartung, dass Sie sich mit dem heiklen Thema beschäftigen, Kinder nicht zu schlagen, egal wie nervend und anstrengend sie sein können. Wäre es nicht ratsamer, sich mehr und ausführlicher mit dem Titel ihres Buches zu befassen?
C. Tsiolkas: Für mich ist diese Ohrfeige, mit der mein Buch beginnt, nur der Anfang des Buches und nicht das Thema des Buches. Ich habe ein Buch geschrieben über die Mittelschicht (Astiki) meines Landes, Australien. In den letzten 20 Jahren wurde Australien zu einem sehr reichen Land. Doch ich denke, dass wir mit diesem Reichtum unsere Persönlichkeit verloren haben. Wir wissen nicht, wer wir sind, was wir glauben, und wir interessieren uns nicht mehr für unseren Mitmenschen. Das ist das Thema meines Buches. Für meine Eltern und viele andere Gastarbeiter, Arbeiter in Australien, war das Leben in den ersten Jahren hier sehr schwer. Wir, ihre Kinder und Enkelkinder, sind Ärzte, Rechtsanwälte und Schriftsteller. Ich wollte die Veränderung in meinem Land zeigen und darüber schreiben.

D. Pergialis: Ihr Roman wurde mit einer gewissen Lockerheit geschrieben und gleichzeitig  mit einer bitteren Ehrlichkeit. Ich denke doch, dass diese Ehrlichkeit viele Leser daran hindert, Ihr Buch vollkommen zu genießen. Ich weiß nicht, ob ich Ihr Buch weiter empfehlen könnte. Warum haben Sie diese Art des Erzählens ausgesucht?
C. Tsiolkas: Ich habe versucht, die Wahrheit zu schreiben aus meinem Blickwinkel, über Charaktere, die weder böse noch gut sind. Das sind die Charaktere meiner Generation, einer harten Generation, darum auch die vielen Lügen zwischen Mann und Frau. Meine Generation hat alles kaputt gemacht und die Resultate sehen wir in unserem Umfeld.

D. Pergialis: Alkohol, Drogen, Sex und Phantasien. Es gibt keine einzige unberührte Beziehung in der Familie, bei Freunden und  Verwanden. Dramen, Lügen und Verleugnungen. Jeder Charakter hat den Schmutz in sich. Warum haben alle Charaktere Ihres Buches diese negativen Seiten?
C. Tsiolkas: Für einen Schriftsteller sind diese Momente die schwierigsten, aber auch die ehrlichsten. Die Berührungen zwischen den Menschen sind schwieriger geworden, die Ehe und das Erziehen der Kinder ist schwierig geworden. Es ist sehr schwierig geworden, der Gute zu sein in unseren Zeiten. Wir sollen der Wahrheit ins Auge sehen. Die australische Gesellschaft unterscheidet sich nicht von der deutschen oder der griechischen. Die Bücher, die ich als Kind gelesen habe, hatten mit schwierigen Bedingungen und Charakteren zu tun. Das ist auch mein Schreibstil, da sind meine Interessen. Ich möchte, dass der Leser versteht, was in den schwierigen Momenten unseres Lebens passiert. Denn das ist das Leben.

D. Pergialis: Ihr Roman ist authentisch und die Schilderung der Stadt Melbourne gut. Positiv sehe ich auch, dass dem Leser die Entscheidung überlassen wird, ob die Ohrfeige richtig oder falsch war. Was mich persönlich stört, ist die Art, wie sie über Drogen sprechen. Das sind keine Ersatzprodukte für’s Essen. Was wäre, wenn ihr Buch in die Hände jüngerer Leser fallen würde?
C. Tsiolkas: Ich will es mal so sagen, damit du es auch verstehst: Ich hatte als Jugendlicher auch Berührungen mit Drogen. Ich weiß und verstehe, dass die Drogen ein großes Problem unserer Gesellschaft sind. Ich wollte aber zeigen, wenn du jung bist, nimmst du die Droge, um den inneren Schmerz zu stillen, darum hast du das Gefühl, du würdest fliegen. Meine Rolle für den Leser ist nicht die des Pfarrers oder des Vaters. Es gefällt mir nicht, dass in unserer Gesellschaft manche den Schriftstellern, Schauspielern und Künstlern die Rolle des Lehrers zuweisen möchten.

D. Pergialis: Warum sollte jemand dieses Buch kaufen, Ihrer Meinung nach?
C. Tsiolkas: Wenn man dieses Buch liest, sollte man sich nicht dafür interessieren, ob das Buch gut oder schlecht ist, sondern aus dem Buch etwas lernen über die heutige Art zu leben. Ich schreibe über diese neue Art von Gesellschaft, weil die Bücher von heute sich des Themas nicht annehmen. Man muss nicht nur über das Gute schreiben sondern auch über das Böse. Das ist auch das Schwierigste und das Interessanteste.

D. Pergialis: „Nur eine Ohrfeige“. Ein exzellentes Buch, kompromisslos ehrlich und alles andere als einfach. Herr Tsiolkas, ich bedanke mich für dieses Interview.